Barock in exquisiter moderner Inszenierung

‚Les Boréades’ in der Geburtstadt des Komponisten

Barry Kosky, das ‚enfant terrible’ der gegenwärtigen Regieszene und seit 2012  Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper Berlin stand bei der Premierenfeier in seinem Kostüm aus diversen gemusterten Kleiderstücken in abgeschossenen Farben, – nicht mal Vivienne Westwood hätte dies so mischen können-, inmitten einer Gruppe jüngerer Männer und hielt Hof. Schliesslich kam noch die musikalische Leiterin Emmanuelle Haïm dazu, auch sie unverwechselbar mit ihrem feuerroten Schopf und vifem Temperament. Sie beide hatten gerade die Neuaufnahme von ‚Les Boréades’ im Auditorium von Dijon zum Triumph geführt. Der Komponist dieser Oper Jean-Philippe Rameau war am 25. September 1683 hier in Dijon geboren worden .

‚Abaris oder les Boréades’, eine ‚lyrische Tragödie’, hatte die Pariser Oper bei Rameau bestellt , doch trotz Proben im Frühling 1763 nie aufgeführt. Mit dem Tod Rameaus am 23. August 1764 verschwand dieses Projekt dann völlig in der Versenkung. Sir John Elliott Gardiner nahm sich der Oper an und führte sie konzertant im April 1964 in London auf. Danach produzierte er ‚les Boréades’ am 21. Juli 1982  als memorable und überhaupt erste szenische Aufführung am Festival von Aix-en Provence. Dies nach fast zwei Jahrhunderten, in der dieses Werk komplett vergessen war.

Ab dann aber erhielt dieses Werk seine Ritterschläge: Zum Beispiel die Aufführung an der Pariser Oper im April 2003 unter der Regie von Robert Carsen, gespielt vom Ensemble ‚Les Arts Florissant’ unter William Christie und gesungen von Stars wie Barbara Bonney, Paul Agnew, und Laurent Naouri. Auch grosse Dirigenten wie Roger Norrington, Sir Simon Rattle, und Marc Minkowski nahmen sich der Partitur an. Emmanuelle Haim sogar vor dieser Aufführung schon zweimal, nämlich in Mulhouse und Strasbourg (2005).

‚Les Boréades’, die nie in der Barockzeit aufgeführt wurden, gilt nun trotzdem als das letzte Musikwerk, das die Barockästhetik noch voll integriert. Vielleicht wurde es gerade deshalb nach dem Tod Rameaus so vollständig zur Seite gelegt. Die Zeiten und Geschmäcker hatten sich verändert. Der Basso Continuo verlor seine Leitfunktion, gesangliche Arabesken, die vor allem den Kastratenstimmen dienten, verschwanden, wie auch die diversen Tanzeinlagen.

Diese Tanzeinlagen sind in der vorliegenden Produktion einer der Höhepunkte. Der Choreograph Otto Pichler verband die noch erkennbaren alten Tanzfiguren mit modernen Bewegungen, sodass ein Ensemble zusammen kommt, das die Zeiten verbindet. Die vielfältigen gestalterischen Ideen in meist witziger Form getanzt mit Verve und einem ‚clin d’oeil’ von offensichtlich Spass habenden Tänzern, sind ein Highlight dieser Produktion, auf das man sich immer wieder freut und über die darin enthaltener Symbolik nachsinnt.

Ein weiterer exquisiter Genuss ist die Aesthetik. Bühnenbild und Kostüme von Katrin Lea Tag sind nicht nur funktional und wunderschön, sondern auch aus einem Guss. Aufbauend auf den Farben weiss und schwarz und einem zentralen weissen Kubus, der sich hebt und senkt, wirkt das Geschehen auf der Bühne erstmal eher minimalistisch. Die Szenen auf dem Boden den Kubus, der nur einen kleinen Teil der Bühne ausfüllt, bekommt  die Bedeutung von Aktivitäten auf einem Altar. Besonders da die Rückwand, eine scheinbar vorsintflutliche Höhlenwand übersäht mit grossformatigen seltsamen Abdrücken,  Einschlüssen von Resten früherer Wesen aus der Zeit, in der hier noch Meer war, noch eine starken archaische Note hinzu bringt.

Bei bewusst reduziertem Hintergrund wirken die Aktionen stärker und bekommt jedes Detail, das sich abhebt eine besondere Bedeutung. Nach allzu langer düsterer Phase voll Zerstörung in Schwarz- und Grautönen poppen auf einmal künstliche Blumenranken in allen Farben aus dem oberen Teil des Kubus. Sie kündigen die Auferstehung, den Neuanfang an und erzeugen beim Betrachtung ein emotionales Aufatmen. So sticht das Blüten- und Rankenbestickte Festkleid der Königin Alphise aus dem umgebenden Schwarzweiss heraus und bestimmt sie zur wichtigsten Figur auf der Bühne. Die Interpretation die dazu getragenen blassgrünen festen Schuhe in Stile von ‚sensibel shoes’ würden Alphises ‚Erdung’ anzeigen, erwiess sich allerdings bei Nachfrage als falsch. Kostümverantwortliche Katrin Lea Tag hätte solche mit kleinem Absatz bevorzugt, diese aber nicht gefunden.

Auch symbolträchtige Hinweise sind wunderbar dargestellt. Die durch eine Feuersbrunst getöteten Vögel werden auf flexibeln Stangen auf den Armen eines ‚Totenträgers’ installiert und bewegen sich bei jedem Schritt so, wie wenn sie auferstanden wären und wieder davonfliegen wollten. Eine Reminiszenz an Mozarts ‚Zauberflöte’ und den Papageno. Ebenso zeigen sich Tänzer und Statisten mit übergrossen schwarzen Krallenhänden, die an den Film ‚Edward mit den Scherenhänden’ mit Jonny Depp erinnern. Nur präsentieren sich die Hände hier eher zerstörerisch als kreativ.